Statement zu antisemitischen Übergriff in Leipzig-Gohlis

AG debate. – 8. Mai 2021

Am 3. Mai 2021 eskalierten in einem Leipziger Wohnhaus bereits länger andauernde antisemitische Anfeindungen in einem tätlichen Angriff. Eine jüdische Person wurde von einer Nachbarin zuerst im Hausflur angeschrien und antisemitisch beleidigt, im weiteren Verlauf sogar körperlich angegriffen. Nachdem ihr die Flucht in die eigene Wohnung gelang, versuchte sich die Angreiferin Zugang zu derselben zu verschaffen, wüste Beschimpfungen sowie andauerndes Klingeln und Klopfen folgten. Die verständigte Polizei erschien erst über eine Stunde später. Nachdem die wieder weg waren, ging der Psychoterror weiter. Erst als die Polizei ein zweites mal vor Ort war und der Nachbarin mit Ingewahrsamnahme drohte, schien die Attacke beendet. Diese Atempause nutzten die beiden in der Wohnung lebenden Jüdinnen um das Haus und mittlerweile auch die Stadt Leipzig zu verlassen. Eine Rückkehr ist vorerst nicht abzusehen.

Dieser Vorfall zeigt exemplarisch die Präsenz von Antisemitismus bis hin in den privatesten Rückzugsraum von Jüdinnen und Juden. Die Realität, die selbstverständlich ist für die meisten in Deutschland lebenden Menschen, nämlich der Schutz des eigenen Wohnraums, ist für jüdisch identifizierte Menschen gar nicht mehr so sicher.

Wenn am Tag der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands der eine oder andere Politiker im einstudierten Gedenken deutsche Betroffenheit durchexerziert und sich selbst das Märchen vom gutgewordenen Deutschland erzählt, könnte sich die bundesweite Realitätsflucht nicht offensichtlicher als Lüge zeigen. Denn in dieser Realität werden Jüdinnen und Juden, wie der aktuellste Vorfall aus Leipzig aufzeigt, weiterhin als das Feinbild angesehen.

In Deutschland ist es wie eh und je selbstverständlich, dass man Juden beleidigt und attackiert: Die Nachbarin fühlte sich offenbar vollkommen sicher in ihren Handlungen und sah keinen Grund dafür ihre Identität zu verschleiern – der Vorfall ereignete sich eben nicht in der Anonymität des Internets. Ebenso selbstverständlich ist es, dass in einem Wohnhaus es niemand für Nötig hält einzugreifen, wenn jüdische Nachbarinnen über Stunden drangsaliert werden. Auch selbstverständlich ist, dass antisemitische Vorfälle für die Polizei keinen Grund zur Eile darstellen. Wiederum selbstverständlich ist die Furcht, der sich die beiden Frauen ausgesetzt sahen: Ihr Gefühl von Schutzlosigkeit ist für Jüdinnen und Juden in Deutschland keine Momentaufnahme.

Es ist uns wichtig zu betonen, dass besagte Nachbarin keine beliebige Rassistin ist, im Gegenteil: Sie begrüßte die beiden Frauen freundlich und interessierte sich für die Sprache, die beide miteinander sprachen. Erst als sie erfuhr, dass es sich dabei um Hebräisch handelte, änderte sich ihr Verhalten grundlegend und wurde feindselig. Es war explizit das Jüdisch-Sein der Beiden, dass den Hass der Nachbarin entfachte.

Dieser Hass stellt 76 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs für ca. 200.000 Menschen einen Grund dar, ihr Jüdisch-Sein zu verstecken.

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